letzte Änderung am 10.11.2023

Peter Lehmann

Jeder leidet für sich allein – Berichte über das chronische Entzugssyndrom bei Antidepressiva

Aus verschiedenen Gründen – u.a. aus Marketinggründen – ignorieren oder bestreiten Hersteller, Inverkehrbringer und Verschreiber von Antidepressiva sowie psychiatrische Interessensverbände deren potenziell körperlich abhängig machende Wirkung. Sie tun Entzugserscheinungen als Rückfall oder als Symptomverschiebung der ursprünglich diagnostizierten Problematik ab. Oder sie begründen sie mit einer (behaupteten) Überdosierung, falsch gestellten Diagnose, indikationsfremden Verabreichung oder zu schnellem Absetzen. Oder sie bagatellisieren sie als übertrieben, Einzelfall oder Ausdruck eines laienhaften Verständnisses. Oder sie reagieren auf das Leid der Betroffenen mit Gleichgültigkeit und Schweigen, Dosiserhöhung und/oder Elektroschocks.

Weitere Informationen zur Entzugsproblematik und den Gründen für das Leugnen siehe Peter Lehmann: Gibt es eine Abhängigkeit von Antidepressiva und Neuroleptika? Wem nützt welche Antwort? Und was folgt daraus für die Praxis?

Austausch und Hilfe finden Sie bei PsyAb (Psychopharmaka Absetzen), einer unabhängigen Initiative von betroffenen Privatpersonen zur Information und zum Austausch über das Absetzen von Psychopharmaka. Weitere Informationen zum Absetzen von Psychopharmaka siehe www.peter-lehmann.de/ex.htm.

Bericht vom 17.1.2023

Ich bin völlig verzweifelt und suche bereits seit zehn Monaten nach einem Ausweg, um der Entzugshölle zu entkommen oder die Symptome wenigstens lindern zu können.

Ich habe von 2004 bis zum Januar 2022 Escitalopram in wechselnden Dosierungen verschrieben bekommen und das Präparat innerhalb von fünf Wochen schrittweise reduziert und dann vollständig abgesetzt. Seitdem erlebe ich unerträgliche Zustände, welche ich zuvor niemals in diesem Ausmaß hatte. Die starken Nebenwirkungen der Escitalopram-Einnahme zwangen mich zum Absetzen, was ich zuvor schon einmal versucht hatte, jedoch dann die Tabletten erneut wieder einnahm, da ich es nicht aushielt. Spätestens da hätten bei mir und meinem Arzt die Alarmglocken schrillen müssen, aber ich habe jahrelang einfach nur teilnahmslos geschluckt und geschluckt!

Anfangs hatte ich nach dem Absetzen starke grippeähnliche Symptome, starke monatelange Übelkeit, stromschlagähnliche Empfindungen im Kopf und an anderen Körperteilen, Bewegungsstörungen, Sehstörungen, Muskelkrämpfe. Das alles hat inzwischen nachgelassen, nach nunmehr zehn Monaten Absetzzeitraum. Doch zeitverzögert hat sich eine permanente körperliche Schwäche entwickelt, vor allem in den Armen spürbar, dazu kamen unerträgliche Angstzustände, chronische Appetitlosigkeit, starker Schwindel, Verwirrtheit, Brain Fog (1) ein Gefühl der totalen Empfindungslosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Freudlosigkeit, es gibt keinerlei spontanen Emotionen mehr, ich kann mich für nichts mehr entscheiden, auch für die simpelsten Dinge nicht, ich überlege ewig hin und her, dazu ein starker Tinnitus, schwere Depressionen, Selbstmordgedanken, ich lebe nur noch in der Vergangenheit, habe eine starke Sehnsucht nach früheren Zeiten.

Ich erlebe schon beim Aufwachen morgens immer dieses schreckliche unbeschreibliche Gefühl, das meinen Alltag so massiv einschränkt, ich bin schon das ganze Jahr überwiegend krankgeschrieben und habe auch große Angst um meine Existenz, große Zukunftsangst.

Ich weiß nicht, wie lange ich diesen Zustand noch aushalten kann, ich versuche ja seit Monaten, eine Linderung zu erreichen, indem ich verschiedene Nahrungsergänzungsmittel und Phytopharmaka, also nur pflanzliche Mittel, einnehme und habe dadurch schon viel Geld ausgegeben, vergeblich. Meine Krankenkasse übernimmt ja leider keine Kosten für orthomolekulare und ganzheitliche Medizin, nur diese teuren Antidepressiva, die wurden jahrelang bezahlt!

Anmerkung

(1) Beim Brain Fog (Gehirnnebel) handelt es sich um Phänomene, die einem jegliche Konzentration rauben und den Blick aufs Wesentliche "vernebeln". Man kann nicht mehr klar denken und wird vergesslich. (P.L.) Pfeil

Die Anfrage kommt von Rainer Schmid aus Ulm. Sollte jemand einen Vorschlag haben, was er gegen die Entzugsprobleme machen kann, würde er sich freuen, wenn Sie direkt Kontakt mit ihm aufnehmen: rainerschmid-ulm[at]t-online.de. Peter Lehmann, 10. November 2023

Bericht vom 20.4.2023

Ich hatte von 2011 bis zum September 2022 Antidepressiva eingenommen aufgrund einer schweren Depression im Jahr 2011 und von begleitenden Zwangsstörungen. Ich hatte mehrere Jahre Fluoxetin eingenommen (je nachdem zwischen 20 und 40 mg) und für einige Monate vor ungefähr 3 Jahren auch mal Paroxetin, war danach aber wieder auf Fluoxetin gewechselt. Ich habe die Einnahme letztes Jahr im September aufgrund von diversen Symptomen wie Müdigkeit, mangelhafte Regenerationsfähigkeit, Fettleibigkeit (trotz regelmäßigen Sports) Impotenz usw. beendet, da ich diese Symptome ich nach einigen Recherchen auf die Antidepressiva-Einnahme zurückführte.

Das Absetzen erfolgte leider kalt, also ohne stufenweises Ausschleichen, wie es eigentlich empfohlen wird, was mir aber bis dato als Laie unbekannt war. Ich wurde von meinem Psychiater, leider niemals über die Langzeitfolgen und andere wichtige Faktoren, wie stufenweises Ausschleichen, aufgeklärt. Mittlerweile bin ich also ungefähr 7 Monate "clean" und kämpfe dennoch immer noch mit sehr schwerwiegenden Symptomen, die mein Leben erschweren und die dazu geführt haben, dass ich meinen aktuellen Beruf nur noch wenige Stunden in der Woche ausführen kann.

Zu den Symptomen zählen:

  • Müdigkeit und Energielosigkeit
  • Mangelhafte Regenerationsfähigkeit des Körpers
  • Schlafstörungen
  • Wahrnehmungsstörungen
  • Motorische Störungen
  • Leichte Schwindelanfälle
  • Kopfschmerzen, bzw. "brain zaps"
  • Ein Gefühl im Kopf, als würde mein Gehirn "flüssig" werden, was andere Patienten wohl teilweise als "brain fog" beschreiben
  • Verringerte Gedächtnisleistung, vor allem Kurzzeitgedächtnis
  • Erektile Dysfunktion und Impotenz

Meine Frage an Sie: Können Sie mir irgendein "Hilfsmittel" nennen, was Ihrer Erfahrung nach dabei hilft, diese schlimme Phase zu überstehen? Eine erneute Einnahme dieses Nervengifts kommt für mich nicht mehr in Frage. Gibt es aus der Wissenschaft irgendwelche Erkenntnisse, was einem dabei helfen kann? Ich hatte von anderen Betroffenen gehört, dass diese es mit CBD-Öl, 5 HTP Griffonia oder L-Tryptophan versuchen.

Für mich, wie für viele andere Betroffene auch, mit denen ich mich schon in diversen Foren dazu ausgetauscht habe, hat sich die Langzeiteinnahme und das Absetzen von Antidepressiva als realer Alptraum erwiesen. Aus diesem Grund wäre ich Ihnen für Tipps, Ratschläge und Erfahrungswerte jeglicher Art sehr dankbar, und wenn es auch nur der Verweis auf einen hilfreichen Kontakt oder eine nützliche Publikation ist.