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Peter Lehmann

Über humanistische Antipsychiatrie

Humanistische Antipsychiatrie ist eine undogmatische und humanistische Philosophie und Bewegung. Das griechische »Anti« bedeutet mehr als ein simples »gegen« (wie zum Beispiel in »Antidepressiva« oder »Antipsychotika«). Es heißt auch »alternativ«, »gegenüber« oder »unabhängig«. Freundinnen und Freunde der Zwangspsychiatrie und Pharmaindustrie stehen auch deshalb der modernen, nutzergetragenen und -definierten humanistischen Antipsychiatrie besonders erbittert gegenüber.

Humanistische Antipsychiatrie ist von Widerspruchsgeist und der grundlegenden Erkenntnis erfüllt, dass

  1. die Psychiatrie als medizinische (und naturwissenschaftliche) Disziplin dem Anspruch, psychische Probleme überwiegend sozialer Natur zu lösen, nicht gerecht werden kann,
  2. ihre Gewaltbereitschaft und -anwendung eine allgegenwärtige Bedrohung darstellt und
  3. ihre Diagnostik den Blick auf die wirklichen Probleme des einzelnen Menschen in der Gesellschaft verstellt.

Deshalb bedeutet humanistische Antipsychiatrie, sich zu engagieren für

  1. den Aufbau angemessener und wirksamer Hilfe für Menschen in psychosozialer Not,
  2. die Sicherung ihrer gesellschaftlichen Teilhabe und ihre rechtliche Gleichstellung mit normalen Kranken (was die Gleichstellung psychiatrisch Tätiger vor dem Strafrecht beinhaltet),
  3. ihre Organisierung und die Zusammenarbeit mit anderen Menschenrechts- oder Selbsthilfegruppen sowie mit unterstützenden Expertinnen und Experten,
  4. die Unterstützung beim selbstbestimmten Absetzen psychiatrischer Psychopharmaka und die Verwendung alternativer psychotroper, das heißt, die Psyche beeinflussender, und weniger giftiger Substanzen,
  5. die Ächtung des Elektroschocks bis hin zu seinem Verbot,
  6. neue Formen des Lebens mit Verrücktheit und Andersartigkeit sowie
  7. Toleranz, Respekt und Wertschätzung von Vielfalt auf allen Ebenen des Lebens.

Humanistische Antipsychiatrie unterscheidet sich von der alten, akademisch und patriarchal geprägten Antipsychiatrie durch die Wertschätzung des Erfahrungsschatzes Psychiatriebetroffener, die Überwindung einer männlich dominierten Perspektive und die Förderung psychosozialer Unterstützungsformen.

Ausgewählte Publikationen zur humanistischen Antipsychiatrie

zuletzt aktualisiert am 29. Januar 2024